Mein Taschenrechner TI SR-50 von 1974
Mein Hobbykeller ist schier unergründlich, ich habe schon wieder einen ganz besonderen Schatz gefunden! Diesmal ist es ein historischer Taschenrechner, nämlich der Texas Instruments TI SR-50, ich denke von 1974. Aber das werde ich anhand der Seriennummer noch genauer festlegen können. Er war ein damals wertvolles Geschenk meines Vaters, ich schätze, der Taschenrechner hat damals etwa 500 DM gekostet. Mit der damaligen Kaufkraft würde man heute dafür ein Top-Smartphone erhalten. Die Welt der Zahlen war die Welt meines Vaters, er war ja schließlich Maschinenbauingenieur. Deshalb der Taschenrechner, damals ganz modern. Smartphones waren damals noch nicht einmal vorstellbar. Exakte Wissenschaft schon damals!
Der TI SR-50 ist in beinahe neuwertigem Zustand, mit gut erhaltener Original-Tasche und dem Handbuch. Sogar das passende Ladegerät habe ich gefunden. Wechselstrom 100 mA soll es liefern. Nach dem Einstecken ist zunächst nur ein müdes Zucken im Display zu sehen. Also habe ich erst mal den Akku inspiziert, im Originalzustand sind sie, allerdings ist eine Flüssigkeit ausgetreten und kristallisiert. Also diese Akkus taugen nichts mehr. Im Netz findet man viele Reparatur-Anleitungen. Ich habe mich wegen guter Erfahrungen für Eneloop-Akkus entschieden. Endlich kann ich mal wieder den Lötkolben einsetzen. Der Akkupack ist nicht sehr schwierig zu öffnen, und die neuen Zellen sind recht schnell verdrahtet und in das Originalgehäuse zu montieren. Nun habe ich den SR-50 erwartungsvoll eingeschaltet. Siehe da, er funktioniert! Pi wird korrekt angezeigt. Immer noch 3,141592654 gerundet. Und das nach 46 Jahren! Begeisterung!
Ich hatte mich damals entgegen aller Erwartungen ja für das Medizinstudium entschieden. Als ich das meinem Mathematiklehrer Dr. Wassel mitteilte, schaute er mich völlig entgeistert so an, als ob ich etwas ganz Schlimmes vorhätte. Der ist für die wahre Wissenschaft verloren, hat er damals bestimmt gedacht. Na gut, Medizin und Mathematik hatten damals nicht sehr viel miteinander zu tun. Außer dem Dreisatz war zu dieser Zeit an mathematischen Problemen nicht besonders viel in der klinischen Medizin bekannt. Es war damals schließlich noch nicht die Zeit der evidenzbasierten Medizin in Deutschland. Damals lief die Meinungsbildung noch vorwiegend eminenzbasiert ab. Diese neumodischen klinischen Studien mit der Suche nach der vermutlichen klinischen Wahrheit sollten uns erst später aus dem englischen Sprachraum erreichen.
Und später hatte die Mathematik in Form der Statistik selbst im klinischen Bereich einen Stellenwert. Da das Fach noch nicht zur Ausbildung gehörte, habe ich mir für meine Promotion die Grundkenntnisse der Statistik selbst angeeignet. Die Daten habe ich mit einem Lochkartenlocher entsprechend eingegeben, sie wurden auf einem „Großrechner“ mit z. B. 64 Kb Speicher mit dem Programm VARAB ausgewertet. Der Rechner stand damals im psychosomatischen Institut der Uni Gießen. Die waren also deutlich früher dran als die Organmediziner.
Heute wären solche Analysen grundsätzlich gesehen mit einer Taschenrechner-Emulation auf jedem beliebigen Smartphone möglich. Die Leistung ist dafür mehr als ausreichend. Natürlich gibt es nun weit entwickelte Software für jedes der zahlreichen Testverfahren in der Statistik. Diese wollen aber immer noch verstanden werden! Ach so! Eine App verstehen! Und damit sind wir tagesaktuell.
Was habe ich da gelesen? Opinion based medicine? Infodemia? Alternative Fakten? Im Zusammengang mit COVID-19 scheint es so etwas zu geben. Die Bildzeitung versucht sich in der Nötigung von Herrn Drosten, dauernd werden neue klinische Studienergebnisse schon vorab auf Preprint-Servern veröffentlicht, von Laien wie auch Politikern klug kommentiert und schon Konsequenzen daraus gezogen, bevor die Papers überhaupt in der wissenschaftlichen Community ausdiskutiert worden sind! Eine verrückte Zeit!
Der historische Taschenrechner erinnert uns daran, dass Zahlen überhaupt sowie eine exakte Wissenschaft unerlässlich sind. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wenn Wissenschaft zur bloßen Meinung, einer von vielen möglichen, verkommen sollte, dann wäre das für unsere Gesellschaft insgesamt fatal.
Da hat doch ein noch Namenloser aus Baden-Württemberg unseren Turboprofessor Streeck aus Bonn angezeigt, wegen Datenfälschung, er habe Daten einfach erfunden! Eine neue Methode der wissenschaftlichen Diskussion! Anzeige bei der Polizei! Voll verrückt! Alles Corona? Oder?