Der vierte Aggregatzustand
An vielen Stellen im Alltag benutzen wir Glas. Was ist Glas überhaupt? Es ist eine schnell abgekühlte, zuletzt unterkühlte, ja gefrorene Flüssigkeit. Es handelt sich um ein amorphes Material, bei dem sich durch die rasche Abkühlung keine kristallinen, regelhaften Strukturen bilden konnten. Manche Forscher meinen sogar, dass es bei Glas sich um eine Art „vierten Aggregatzustand“ handelt, neben gasförmig, flüssig und fest. Gläser gibt es aus mineralischen (Silikatglas) und sogar organischen (Acrylglas) Materialien.
Herstellung
Die Besonderheiten der Gläser sind beispielsweise ihre optische Durchlässigkeit und ihre chemische Stabilität. Somit sind die Einsatzmöglichkeiten außerordentlich vielfältig. Flachglas, auch Floatglas genannt wird auf riesigen Maschinen hergestellt, und das mit außerordentlich hoher Präzision. 1000 °C heißes Glas wird in einer Schutzgasatmosphäre über eine Wanne mit flüssigem Zinn geleitet und auf einer langen Produktionsstraße abgekühlt. Dieses Glas hat planparallele Oberflächen und keinerlei Einschlüsse.
Leitz Wetzlar – ein Traditionsunternehmen
In meinem Falle geht es aber um optisches Glas. Mein Vater war ja als Maschinenbau-Ingenieur viele Jahre bei Leitz Wetzlar beschäftigt, einem 1849 gegründeten Traditionsunternehmen, das sich zunächst auf die Fertigung von Mikroskopen und später Kameras spezialisierte. Das Unternehmen ist nach 1974 mehrfach umstrukturiert und weiter verkauft worden. Im damaligen Hauptverwaltungsgebäude ist heute die Stadtverwaltung Wetzlar untergebracht.
Glaslabor – Temperöfen
Und gegenüber dieses Gebäudes war es, im eigentlichen Produktionsbereich also, wo ich als etwas 16-Jähriger ungefähr 1967 meinen Ferienjob absolvierte. Der war natürlich von meinem Vater vermittelt, und zwar im Glaslabor. Dieses betrieb Leitz erst seit 1948, also vergleichsweise kurz. Zu meiner Zeit war es hinter dem Hauptproduktionsgebäude gelegen. Auch im langen Flur standen viele Temperöfen, die dazu dienten gegossene, vielleicht 15 mal 20 mal 5 cm große Glasquader über Tage hinweg abzukühlen, um die inneren Materialspannungen im hochwertigen optischen Glas zu eliminieren. Diese würden nämlich zu Doppelbrechung und variablen Brechungseigenschaften führen. Ich erinnere mich an eingestellte Temperaturen von ca. 750 °C.
Berechnung der Objektive mit dem Z5
Eine der Glassorten hatte den bezeichnenden historischen Namen APK 54. Bei den verschiedenen Glassorten geht es um die Bereitstellung von unterschiedlichen Brechungseigenschaften für mehrfach farbkorrigierte Objektive. Das war damals eine Fleißarbeit für Spezialisten, bei der man per Hand oder mechanischen Tischrechner die Linsenformen berechnen musste. Deswegen waren viele Linsensysteme, auch Objektive mit dem Namen ihrer Entwickler verknüpft. Bereits ab 1953 hat Leitz dafür auch EDV eingesetzt. Das war ein bereits 1950 bestellter Zuse Z5, damals er erste „Großrechner“ in Deutschland. Der hatte noch die bekannte Relaistechnik wie schon vor dem 2. Weltkrieg. Allerdings war er 40 mal schneller als sein Vorgängersystem und verfügte bereits ein Lochbandsystem als Dauerspeicher. Ich jedenfalls habe zunächst mit einer mechanischen Rechenmaschine gearbeitet, einer schwarzen Brunsviga mit Schlitten. Das war ein schwerer und schwergängiger Brocken.
Herstellung der Prismen für die Messung
Es ging um die Ermittlung der jeweiligen optischen Daten des gegossenen Glasquaders, somit auch um Experimente mit den Glaszusätzen. Der betreffende Mitarbeiter sollte bald seinen geplanten Sommerurlaub antreten, und ich ihn nach Anleitung 2 Wochen vertreten. Der Ablauf war jeweils wie folgt: Aus einem Glasquader wurde ein kleines Prisma gesägt, vielleicht im Winkel von 55°, Länge etwa 1,5 cm, Dicke 1 cm maximal. Anschließend erfolgte ein Planschliff der 2 Hauptflächen auf einer langsam rotierenden Schleifscheibe mit Schleifpaste. Auf einer Polierscheibe habe ich anschließend jeweils die 2 Flächen geglättet.
Spektroskopie zur Bestimmung der Glaseigenschaften
Autor Herbertweidner, Public Domain, Ursprung WikiCommons, Spektrum einer Cd Niederdrucklampe
Nach Fertigstellung des Prismas in Handarbeit erfolgte die Messung der optischen Daten des jeweiligen Glases mit einem Spektrometer mit einer Niederdruck-Entladungslampe. Gemessen habe ich die Brechungseigenschaften bei drei typischen Linien in Rot, Grün und Blau. Daraus erfolgte die Berechnung des typischen Brechungsindexes und der Abbe-Zahl, also einer Maßzahl der Dispersion der Farbbrechung. Hierfür habe ich zunächst eine mechanische Brunsviga und später einem Hightechrechner Olympia RAE 4/30-2 mit Ferritkernspeicher und Anzeige mit Nixieröhren gearbeitet. Das war ein damals cooles Gerät. Mit Gleitkommafunktion und drei Speicherplätzen. Ich war echt stolz, mit so einem modernen Gerät arbeiten zu dürfen.
Vermarktung der optischen Spezialgläser
Leitz benötigte für seine hochqualitativen Optiken sehr spezielle Gläser mit teilweise extremen Eigenschaften. Ich erinnere mich an eine Glassorte mit hohem Kochsalzanteil, das hygroskopisch war. Ein solches Glas macht nur innerhalb einer Mehrlinsenoptik unter Luftabschluss Sinn. Leitz hat ständig neue Gläser entwickelt. Ich erinnere mich an einen Schmelzofen für die Entwicklung und Testzwecke. Geeignete Glassorten wurden patentiert, und die Lizenzen weiter verkauft.
Die Kamera des Smartphones
Nach meiner Recherche enthalten heute selbst flache Smartphones Mehrlinsenkameras, manche sogar mit Zoom-Eigenschaften. Die genauen Features solcher winzigen optischen Systeme und ihr technischer Aufbau sind kaum Gegenstand der öffentlichen Diskussion. Man findet im Netz fast nichts darüber.
Eher interessiert man sich für die praktische Bildqualität, also Auflösung, Farbraum, Farbwiedergabe, geometrische Entzerrung, direkte Anwendung der künstlichen Intelligenz wie Gesichtserkennung, Erkennung der Motivart, Bildschärfe, Nachbearbeitung und Handhabbarkeit. Die nachfolgende Konnektivität ist heute zu dem fast entscheidenden Faktor geworden.
Theoretische optische Qualität
Theoretische optische Qualität interessiert im Kamerabereich nur noch absolute Profis und Leute, die sich mit einem überteuerten Edelprodukt zeigen wollen. Die klassische, hochwertige, große Kamera hat für die Allermeisten ausgedient. Allerdings ergeben sich in der sonstigen Technik ständig neue Anwendungsfelder für die Optik.
Zum Thema Optiken von Smartphones: In der heutigen c’t werden Zoom-Objektive bis 10-fach bei Produkten von Huawei und Samsung beschrieben. Eine Schemazeichnung von Huawei lässt mindestens 3 Linsengruppen und 5-malige Umlenkung durch Spiegel bzw. Prismen erkennen. Die Folge sind herabgesetzte Schärfe, Kontrast und verminderte Öffnung wie auch Farbfehler. Die Optik würde bei einer Standardkamera 240 mm entsprechen bei Blende 4,4. Ähnlich ist es bei Samsung, wobei hier eine Mischung von optischem und Digitalzoom eingesetzt wird.
Insgesamt ist die Weiterentwicklung der Miniaturisierung faszinierend. Die optischen Ergebnisse erreichen aber noch lange nicht die Ergebnisse von Standardkameras.