Klang der Orgel in Atzbach, nun vollelektronisch erzeugt mit der Simulation Aeolus.
In der Kirche meines Geburtsorts Atzbach in Hessen habe ich eine recht kompakte Orgel kennengelernt. Sie ist einmanualig und hat eine Pedalerie mit gut einer Oktave Spielumfang. Unser allwissendes Orakel Wikipedia nennt auch 12 Register, die waren zu ziehen und reinzudrücken. Und sie sei auf 445 Hz gestimmt, also höher als normal.
Der Bau dieser Orgel mit barockem Äußerem erfolgte im Jahr 1730 für die alte Dreikönigskirche in Frankfurt, es heißt „unbekannter Meister“. Ach so, deswegen der Frankfurter Adler in der Mitte oben! 1784 wurde sie am jetzigen Standort in Atzbach auf der Westseite der Hallenkirche eingebaut.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich beim Spielen wirklich feste zudrücken musste. Es handelt sich schließlich um eine mechanische Orgel, die Kraftübertragung erfolgt über schlanke Holzbänder. Ich sehe die noch vor mir. Ursprünglich erfolgte die Luftzufuhr mit einem Blasebalg, nicht mit einem elektrisch betriebenem Gebläse wie heute. Ich habe das noch erlebt.
Natürlich wurde die Orgel mehrfach überholt. Es ist aber dennoch erstaunlich, dass der Bau damals technisch so möglich war. Und noch erstaunlicher fast ist die Haltbarkeit des Musikinstrumentes. Unser elektronisches Pendant wird keinesfalls so lange erklingen können.
Der Klang dieser Orgel ist mir noch gut in Erinnerung als präzise, klar, laut, wie strahlend in der Mixtur. Sehr gut zu Barockmusik passend, war ja auch kein Wunder. Tante Gertrud hat diese Orgel jahrzehntelang gespielt. Früher hat Hansi die Orgel getreten, also den Blasebalg bedient.
Nun hat mich mein Bruder auf die Orgelsimulation Aeolus aufmerksam gemacht. Es handelt sich um einen kompakten Software-Synthesizer unter Linux, der die Bedienung über Register wie bei einer klassischen Orgel ermöglicht. Die Tonerzeugung erfolgt hier aber völlig synthetisch. Es werden keine WAV’s abgespielt, auch keine Soundfonds. Die elektronische Effektsektion ermöglicht die Einstellung einer bestimmten Raumakustik und die Wahl der Zuhörerposition.
Das Pedal und drei Manuale haben insgesamt 51 Register und 6 Koppeln. Dem Spezialisten erscheint das vielleicht wenig angesichts von heutigen Orgeln. Aber es ist damit gut möglich, sich mit den Prinzipien vertraut zu machen. Wie klingt die 32′-Bombarde, wie schräg klingen Septime und None, was bewirken Quinte und Terz? Und der Klang der Mixtur ist schon super, das klingt feierlich, strahlend.
Wenn man die Orgel spielt, wird einem schnell klar, dass man sich mal mit dem Prinzip der Stimmung von Tasteninstrumenten beschäftigen könnte. Vetraut war mir nur der Begriff „wohltemperiert“. Aber das ist anscheinend auch nur eine Art Schlagwort. Die Stimmung der Orgel in Atzbach wird als „annähernd gleichstufig“ beschrieben.
Nun weiß ich, warum je nach Stimmung manche Tonarten einer Orgel nicht gut klingen. Und dass es keine „ideale“ Stimmung gibt und nicht geben kann. Es handelt sich hier immer um einen Kompromiss. Was unseren Ohren zugemutet wird, klingt schon manchmal schräg.
Diese minimale Verstimmung bestimmt die Klangfarbe. Ja sie gehört als Ausdruckselement zu einem bestimmten Musikstück. Es entstehen außerdem Schwebungen, Alias-Effekte, sogar Vibrationen. Raumeffekte wie Reflexion, Dämpfung und Hall überlagern das Ganze. Und der Zuhörer sitzt mitten drin.
Und die Alten kannten das schon alles. Spielen wir doch mit der modernen Technik, um das Alte und das Prinzip dahinter besser verstehen zu können!
@Ingrid: Ih, das Ding hat scheußlich gequiekt. Da lobe ich mir die Hallelujapumpe.
@ Albrecht: Im Ernst, Du hast doch nicht etwa die Atzbacher Orgel mit Äolus akustisch nachmodelliert?
Die wohltemperierte Stimmung ist halt ein Kompromiss, damit sich alle Tonarten gleich gut (oder schlecht) anhören.
Manche Pianisten lassen sich ihren Flügel von erfahrenen Stimmexperten für das vorgesehene Opus optimal anpassen.
Das waren noch Zeiten, als die Synthesizer noch real existierende Geräte waren! Aber der Schritt in die virtuelle Welt, in der sie nur aus einem Programm bestehen, ist eigentlich logisch. Erinnerst du dich an die kleine el. Orgel, die der Dorlarer Kirchenchor nach dem Umzug vom Konfirmandensaal ins ev. Gemeindehaus als Nachfolger fürs Harmonium angeschafft hat? Das war vor der Verwendung von gesampelten Klängen. Neben voreingestellten Registern gab es ein paar Regler für Sinusschwingungen, mit denen eigene Klänge erzeugt werden konnten. Ein kleiner Synthesizer halt. Das Ganze wurde als Bausatz geliefert und musste nicht nur zusammengeschraubt werden, sondern auch der Lötkolben musste mit ran. Unser Vater hatte die Bauleitung. Ich meine, du wärst auch beteiligt gewesen.