Keine heilige Familie?
Neulich beim Familienbesuch kam das Gespräch auf frühere körperliche Züchtigung in der Familie. Die Gesprächspartner waren dabei so sehr betroffen, dass es mich schon wieder irritiert hat.
Klar, wir sind verprügelt worden, auch ich. Es ist mir aber nicht erinnerlich, dass diese Prügelei völlig anlasslos, systematisch und hemmungslos war, oder gar zu sichtbaren Verletzungen bei mir geführt hätte. Die psychischen Implikationen der Prügelei von Kindern wollen wir hier mal außen vor lassen.
Warum sind die Erinnerungen affektiv so unterschiedlich geprägt? Könnte es sein, dass sich durch das Trauma der Prügelei ein psychischer Mantel über diese unangenehmen Erinnerungen gelegt hat? Gab es Unterschiede im Handeln und Behandeln der Geschwister? Ich hatte ja ein Vorbild und kannte die möglichen Auswirkungen meines Verhaltens. Vielleicht war ich vorsichtiger, zurückhaltender, beobachtender. Wer weiß…
Beim Deutschlandfunk habe ich eine Reihe von Artikeln, gefunden, die gut zum Thema passen und auch für uns Laien lesbar sind. Zum Beispiel der Artikel „Prügeln verboten – vom langen Kampf für die Kinderrechte„. Auf dieser Webseite sind zahlreiche weitere Artikel zu diesem Thema verlinkt. Ich bin beeindruckt und betroffen!
Ich denke, dass unsere Eltern noch geprägt waren vom Buch Johanna Haarer – Die (deutsche) Mutter und ihr erstes Kind. Selbst wenn sich dieses Pamphlet des dritten Reiches noch bis Mitte der Siebziger Jahre verkaufte, so ist das Grundsätzliche, die Gedankenwelt nach wie vor vorhanden.
Wir sollten uns vor Augen halten, dass die Prügelstrafe eine sehr lange Tradition hat. Gefangene und Sträflinge sind ihr in bestimmten Ländern auch heute noch ausgesetzt (Guantanamo), die Scharia wir auch heute oft noch als Begründung vor Gewaltausübung auch in der Familie, gegen Kinder und Frauen angesehen.
Aber auch Luther hat Gewaltausübung sei es durch Prügel den Kindern gegenüber propagiert. Hier nahm das seinen Anfang, was man auch „Schwarze Pädagogik“ bezeichnet. Der Mensch sei ja böse schon von frühester Kindheit auf und müsse geläutert werden. Schläge und sonstige Gewaltausübung seien regelrecht erforderlich, um den Menschen zur Gottesfurcht zu bewegen. In evangelikalen Kreisen ist die Haltung auch heute noch zu finden. Natürlich auch in der Allgemeinbevölkerung, zumindest als Option.
Züchtigung der eigenen Kinder war in Westdeutschland erst nach 1958 auch den Frauen erlaubt, das ist doch skurril!
Es dauerte bis 1973, bis die Prügelstrafe in den Schulen in Westdeutschland offiziell abgeschafft wurde. In der DDR war das bereits 1949 der Fall.
Erst seit 1998 bzw. 2000 ist das Recht auf gewaltfreie Erziehung im BGB verankert. Dieses Recht ist sogar strafbewehrt, bis zu 15 Jahren Haft gibt es bei Zuwiderhandlung. In das Grundgesetz hat sie es noch nicht geschafft trotz entsprechender Koalitionsvereinbarung, die Gewaltfreihheit in der Kindererziehung.
in 2018 gab es in D mehr als 6000 offiziell gemeldete Fälle von Kindesmisshandlung. Es kamen sogar 150 Kinder in diesem Jahr zu Tode als Folge der Misshandlung durch ihre Eltern.
Die UN-Kinderrechtskonvention ist nun schon 30 Jahre alt, 190 Länder haben sie damals unterzeichnet. Doch nur in 59 Ländern wurde sie in nationales Recht überführt. Es scheint nicht einfach zu sein, nach so langer Vorgeschichte ein vermeintliches Grundrecht der Eltern, nämlich dass es ihnen erlaubt sei, ihre eigenen Kinder zu schlagen, ad acta zu legen. Kinderrecht statt Elternrecht! Oder besser gleiches Recht für alle!
Wir können uns aber wohl kaum zurücklehnen, und auf die unbefriedigende Kinderrechtssituation in Ländern wie GB, Italien, Schweiz, Belgien und natürlich die USA verweisen. In den USA sind die Zahlen für einfache und schwere Misshandlung von Kindern doppelt so hoch wie in D.
In einem weiteren Blogeintrag werde ich über das System Michael Winterhoff berichten, dass nun endlich ins Wanken zu kommen scheint.
Die eigene Familie ist leider keine Heilige Familie!
„Wer seine Kinder liebt der schlägt sie auch!“
„Der Herr züchtigt die, die er liebt“.
Dies sind keine Bibelsprüche sondern Interpretationen eines bibelfesten/bibeltreuen kinder- und enkelreichen Vaters und Großvaters, den ich einmal in A. kennen gelernt habe.