Kriegsdienstverweigerung – meine Option
Aus heutiger Sicht, also 50 Jahre später war es mir nicht mehr leicht nachvollziehbar, wie ich Kriegsdienstverweigerer werden konnte. In den Protokollen meiner beiden Anerkennungsverhandlungen ist von religiösen Gewissensgründen die Rede. Aber das kann es ja nicht alleine gewesen sein. Die ganze Nation stand schließlich noch unter dem Einfluss der Kriegserlebnisse mit den 60–80 Millionen Toten weltweit. Etwa 110 Millionen Menschen sollen über den Globus verteilt unter Waffen gestanden haben. Ich werde nun versuchen, wichtige Aspekte kurz zusammenzutragen.
Schon 1950 gab es in der BRD unter Adenauer bereits Überlegungen zur Neugründung einer Armee. Bereits 1951 begann der Aufbau einer Freiwilligentruppe unter dem Namen Bundesgrenzschutz. Ehemalige Angehörige der Wehrmacht konnten nun einvernehmlich mit den Alliierten per Grundsatzentscheidung dort aufgenommen werden. Das galt auch für die höheren Dienstgrade, die sämtliche schon in der Wehrmacht der Nazis tätig waren. Ich würde interpretieren, dass der Militarismus früherer Jahre der zukünftigen Bundeswehr in die Wiege gelegt wurde. 1955 kam es zur formellen Gründung der Bundeswehr mit Wiederbewaffnung. 1956 wurde das Wehrpflichtgesetz beschlossen, dessen allgemeine Dienstverpflichtung bis 2011 angewandt wurde.
Angesichts der schrecklichen Erfahrungen in den Weltkriegen hatte der von den Alliierten beauftragte parlamentarische Rat das Grundgesetz (noch nicht als Verfassung bezeichnet) ausgearbeitet und 1949 genehmigt. In Artikel 4 wurde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung genannt und für Details auf ein Bundesgesetz (Wehrpflichtgesetz) verwiesen.
So gab es nun erstmals in der deutschen Geschichte ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Auch im Kaiserreich von 1871 bis 1918 und erst recht im Dritten Reich war das nicht vorgesehen. Die wenigen Männer, die das für sich beanspruchten, kamen in Gefängnisse, die Psychiatrie, in ein KZ oder wurden gleich erschossen. Das war in Deutschland bis 1945 so. Tausende dürften so zu Tode gekommen sein. In der Weimarer Republik gab es keine allgemeine Wehrpflicht.
Auch die christlichen Kirchen haben sich hier nicht gerade mit dem Prinzip der Gewaltfreiheit hervorgetan. Während in der frühen Christenheit die Gewaltfreiheit und die Ächtung von Waffen selbstverständlich waren, entwickelte sich etwa ab 300 n. Chr., verbunden mit Kaiser Konstantin I., der christliche Glaube zunehmend zur Staatsreligion. Damit war aber in Umkehrung der Prinzipien der Bergpredigt die zunehmende Ächtung des Gewaltverzichtes durch Staat und Kirchen verbunden.
Während es nach dem Zweiten Weltkrieg in der Evangelischen Kirche berühmte Pazifisten und Vordenker wie Martin Niemöller oder Karl Barth gab, auch Namen wie Dietrich Bonhoeffer und Paul Schneider, so hat sich die Katholische Kirche hier erst viel später bewegt. Aber Achtung: Selbst Willy Brandt hat Kriegsdienstverweigerer als Drückeberger angesehen! In einer dünnen Broschüre des gebildeten evangelischen Pfarrers Bienert von 1952 bleibt der Autor beim Gerechten Krieg, also der traditionellen Position.
Kann es denn einen gerechten Krieg geben? So wie er schon seit Urzeiten auch von der christlichen Kirche postuliert wird? Mit den umfangreichen Argumenten für eine berechtigte Selbstverteidigung kann man – verkürzt ausgedrückt – leider auch jeden Angriffskrieg rechtfertigen. Die Begründung verbirgt sich dann oft in einer subjektiven Bewertung der Situation. „Ab 20 Uhr wird zurückgeschossen!“ schrie Hitler zu Beginn des Überfalles auf Polen 1939. Obwohl die Deutschen ihn begonnen hatten.
Gibt es für Kriege nicht immer auch friedliche Alternativen? Wir denken an die derzeitige Situation an der Westgrenze Russlands zur Ukraine hin. Das Ausschöpfen der Möglichkeiten zur Einflussnahme sollte immer im Vordergrund stehen. Und die sind heute ohne Zweifel gegeben.
Pazifisten fordern im Sinne des Paradigmenwechsels einen gerechten Frieden ein. Nur der sei gerecht, helfe den Menschen weiter. Die Gewaltfreiheit hat unbestreitbar meine Sympathien. Es geht hier bereits um ein anderes Gesellschafts- und Wertebild, bei dem die Konflikte in der Gesellschaft wahrgenommen und bearbeitet werden. Die Begriffe Klimagerechtigkeit tauchen hier auf, die Migrationsproblematik und soziale Unterschiede zählen hierzu.
Nun noch ein paar Argumente von mir. Hat das Grauen des Zweiten Weltkrieges und die schreckliche Menschenverachtung in Nazi-Deutschland etwa nicht gereicht? Wie kann man angesichts dieser Verbrechen überhaupt noch einen gerechten Krieg, also einen gerechten Waffengebrauch als berechtigte Option ansehen? Warum sollten Waffen auf einmal nur noch zu dem theoretischen guten Zweck, der Verteidigung der Schwachen und zum Selbstschutz eingesetzt werden? Das klingt wie eine Verhöhnung der unzähligen Gewaltopfer! Gewalt führt nach meiner Kenntnis immer zu mehr Gewalt.
Waffen dienen dem Töten, wozu sonst sollten sie denn taugen, bitteschön? Oder ist das nur ein perverses Spiel damit? Wer entscheidet eigentlich, wann Krieg geführt wird? Gibt es dazu eine Volksabstimmung oder was? Ach ja, die Atomwaffen, die hätten wir fast vergessen! Mehr als 10.000 solcher Systeme sind derzeit auf der Welt einsatzbereit. Wenn es zu ihrem Einsatz käme, wäre der Schaden unabsehbar. Zu meiner Zeit gab es eine Art Gleichgewicht des Schreckens, die letztlich die Völker friedlich stimmte. Heute hört man kaum noch etwas davon.
Moderne ferngesteuerte oder autonome Waffen ermöglichen völlig neue Arten der Kriegsführung, die der Allgemeinheit nicht im Bewusstsein sind. Sind wir vielleicht schon abgestumpft wegen der vielen Gewaltfilme und Computerspiele? Ist das eventuell die stille Vorbereitung auf den Dritten Weltkrieg? Und noch etwas: Die Rüstungsindustrie hat eine breite Lobby in allen Industriestaaten. Es geht um sehr viel Geld. Da hat Ethik kaum eine Chance. Auch nicht in Deutschland.
Ich bleibe dabei, dass ich Kriegsdienst und Umgang mit Waffen generell ablehne. Der Blick auf die neue und alte Geschichte bringt mich unabänderlich dazu. Den Gedanken des Gerechten Friedens finde ich viel überzeugender, wenn es ihn auch noch nicht so lange gibt. Friedensethik statt Kriegstreiberei!
Literatur:
- Soweit verlinkt: Wikipedia
- Bienert, Walther 1952: Krieg, Kriegsdienst und Kriegsdienstverweigerung nach der Botschaft des Neuen Testaments
- Möhle, Volker und Christian Rabe: Kriegsdienstverweigerer in der BRD. Eine empirisch-analytische Studie zur Motivation der Kriegsdienstverweigerer in den Jahren 1957 bis 1971.
- Finkh, Ulrich 2005: Kriegsdienstverweigerung nach 50 Jahren Bundeswehr
http://doi.org/10.5169/seals-144576