Die gedankliche Basis in meiner Familie
Auf Anhieb ist mir nicht besonders viel dazu eingefallen. Hat es in meiner Familie und in unserer Umgebung eine besondere Gesprächsatmosphäre für gesellschaftliche Themen gegeben? Mein Bruder hat mich dann zunächst an einen Pfarrer Ernst erinnert, der ein mitreißender kritischer Lehrer für Theologe und für Philosophie an der Herderschule in Gießen war. Und gleich auch einige Namen von Persönlichkeiten genannt, die seine und damit auch meine Jugend geprägt haben. Unser Vater gehörte auch dazu, welch Wunder!
Erwähnenswert sind der sozialistische Philosoph Ernst Bloch (Prinzip Hoffnung), der sozialistische evangelische Pfarrer und Pazifist Karl Barth, der frühere U-Boot-Kommandant, evangelische Theologe, Widerstandskämpfer und Pazifist Martin Niemöller, der lutherische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer mit seinem hochpolitischen Brief über das Thema Dummheit, der sozialistische Schweizer Theologe und Antimilitarist Leonhard Ragaz, auch der Theologe Paul Tillich. Im Nachbardorf tätig war Pfarrer Paul Schneider, „Der Prediger vom KZ Buchenwald“
Aber auch weniger prominente Namen sind zu nennen, wie die Pfarrer Hans A. De Boer (Unterwegs notiert) und Ulrich Finckh, beide wie Martin Niemöller zeitweilige Vorsitzende der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden. An Bücher dieser Autoren kann ich mich noch erinnern. Auch einen Ersatzdienstbeauftragten der EKD in Wetzlar gab es, sein Name ist mir entfallen. Die Sekretäre des CVJM-Westbundes waren nicht nur fromm, sondern auch teilweise recht politisch.
Wenn ich dann bedenke, dass mein Vater gerne und leidenschaftlich diskutierte, dann muss es so gewesen sein, dass die Themen Militarismus, Friedenspolitik, Wehrdienstverweigerung, soziales Handeln und Bergpredigt eine große Rolle in unserer Jugend und in der Familie selbst gespielt haben. Meine Entscheidung zum Medizinstudium kam ja teilweise auch aus dieser Motivation.
Obwohl mir das damals nicht so bewusst war – es gab noch kein Internet und kein Wikipedia – bin ich ganz bestimmt durch obige Personen und ihre Gedanken geprägt worden. Denn wo soll es sonst herkommen? Protestantischer Sozialismus und Antimilitarismus würde ich es heute nennen. Auch heute ist bei mir gedanklich noch viel davon vorhanden. Ist doch gut so.
Hätte ich doch zur Zeit meiner Verweigerer-Verhandlungen 1970 mal soviel davon gewusst, dann hätte ich wenigstens vernünftig argumentieren können! Aber den ehemaligen Soldaten wäre das vermutlich auch egal gewesen. Die sollten uns ja ablehnen, die alten Komissköppe. Denn sie hatte ja „Gewissensgründe“ bei uns zu finden oder nicht. Eine durchdachte Begründung hätten die sowieso nicht akzeptiert, da das ja kein „Gewissen“ gewesen wäre.
Ein Grundrecht, das man wie ein Angeklagter in einem pseudomilitärischen Tribunal beweisen musste! Ein starkes Stück war das!
Danke für Deinen Kommentar, lieber Gerhard! Unsere Schwestern kennen auch noch den Pfarrer Preis(s) von der Kreuzkirche! Der ist mit mir, soweit ich mich erinnern kann, als Beistand/Zeuge zur zweiten Verhandlung nach Gießen. Die theologischen Hintergründe mit Bultmann und Sölle waren mir damals nicht klar. Das wäre Material für weitere Texte! Doch Gemach.
Der Ersatzdienstbeauftragte der EKD in Wetzlar war nach meiner Erinnerung Pfarrer Preis (oder Preiß) und hatte es nicht leicht mit seinen Amtsbrüdern, die sehr damit beschäftigt waren, in ihren Gemeinden die braunen Schäflein weiß zu waschen, ihnen barmherzige Vergebung und wieder ihren Platz im Kirchenvorstand zukommen zu lassen. Natürlich ohne ihre Opfer befragt zu haben, die lebten ja meistens nicht mehr. Ich hatte ihn als Adoleszent verehrt und mir von ihm sozusagen spirituelle Leitung über den Frömmelkram hinaus und Unterstützung gegen Leute erhofft, die frech die Begriffe „Bekennende Kirche“ und „Kein anderes Evangelium“ usurpierten um den Professor Rudolf Bultmann aus Marburg und die feministische Theologin Dorothee Sölle zu diskreditieren. Leider wurde er klinisch depressiv.