Semiquantitative linguistische Betrachtung
Seit einigen Wochen beschäftige ich mit meiner Kriegsdienstverweigerung. Nach dem früher die Begriffe Friedensbewegung, Ostermärsche, Atomkrieg und Pazifismus wichtig waren und häufig verwandt wurden, scheint es in den letzten Jahren ruhig darum geworden zu sein. Sind vielleicht nur andere Begriffe an ihre Stelle getreten? Oder werden sie wirklich weniger häufig gebraucht?
Zur Beantwortung dieser Frage habe ich mich mit dem DWDS, dem digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache beschäftigt. Hier werden mehrere „Korpora“, also verschiedene Sammlungen von Tokens (einzelne Anteile) und Types (unterschiedliche Anteile) zur Verwendung angeboten. Das DWDS-Zeitungskorpus von 1946 bis heute hat immerhin 24 Milliarden Einträge. Da ergibt die Betrachtung von Häufigkeiten Sinn.
Aber Achtung, da scheint es eine Besonderheit zu geben. Die Gesamtzahl der Tokens scheint mit der Zeit sehr stark zuzunehmen, sodass die Frequenz der Verwendung sinkt, obwohl die absoluten Zahlen des Gebrauchs mehr oder weniger gleich bleiben. Ich zeige zunächst das Stichwort „Pazifismus“ in der relativen Darstellung:
Klicken Sie auf das Bild, es öffnet sich das Bild in der Website DWDS, und zeigen Sie auf eine Stelle der Kurve. Sie sehen nun die relative und absolute Häufigkeit. Und letztere ist je nachdem gar nicht besonders niedrig. Nur relativ wird das Wort weniger häufig gebraucht, absolut gesehen eher nicht. Und genau dieser Effekt trifft hier zu: 2021 lag die Frequenz nur bei 0,17 pro 1 Mio. Tokens, absolut gesehen waren das immer noch 100 Einträge, also viel mehr als im relativen Peak im Jahr 1986.
Hier noch das Bild zu den typischen Wortverbindungen von „Pazifismus“ in DWDS:
Beim Klicken auf die Wortwolke öffnet sich DWDS, scrollen Sie tiefer, um die verlinkte Version zu sehen. Sie können dort die Quellen ansehen. Es fällt auf, dass abwertende oder distanzierende Begriffe wie dogmatisch, idealistisch, prinzipiell, radikal, rigoros, selbstgerecht, sentimental, utopisch oder wohlfeil häufig mit Pazifismus verbunden werden. Auch scheint dem Wort ein Antiamerikanismus innezuwohnen, was eine negative Aussage über die USA darstellt.
Das Ergebnis ist, dass trotz der 2021 geringen relativen Häufigkeiten die absoluten Zahlen der Nennung des Begriffes Pazifismus eher wenig abnehmen. Es handelt sich anhand der gängigen Wortverbindungen offensichtlich um einen polarisierenden Begriff, dem ein Antiamerikanismus innewohnt, der Kriegsbefürworter zu verbalen Gegenaussagen bringt.
Pazifismus ist nicht out, anderes scheint wichtiger zu sein!