Heute ist nicht mein Tag!
Eigentlich habe ich gut geschlafen, schon früh bin ich tatendurstig. Die Sonne scheint etwas, schnell hat die neue Solaranlage den Speicher gefüllt. Der Kaffee schmeckt mir gut. Allerdings ist heute wieder ein Termin beim Anwalt. Scheidung und so weiter. Schnell noch zwei Jahrespackungen Kontoauszüge checken auf Bar-Abhebungen meiner Ex. So wird meine Fleißarbeit zu einer idealen Einstimmung auf den Muttertag, hahaha. In drei Tagen ist er, der berühmte Feiertag des schlechten Gewissens.
Gestern meinte ich, dass mir diese selbstquälerische Aufarbeitung meines Familiendesasters nichts ausmachen würde. Aber heute wird es mir schnell zu viel. Warum musste sie im Monat zwischen 2000 und 5000 Euro bar abheben, in bis zu 10 Portionen gestückelt? Und damit im Jahr 35.000 Euro zur freien Verfügung zu haben! Was hat sie damit angefangen? Für Haushaltsgeld wären 1000 Euro pro Monat großzügig gewesen. Ist das etwa der Gender-Gap? Meine gute Laune ist dahin.
Ich erstelle noch eine grafische Aufbereitung über die 8 Jahre. Sie hat das jahrelang so gemacht, muss ich leider feststellen. 230.000 Euro hatte sie in den geprüften 8 Jahren zu ihrer Verfügung. Davor vermutlich in der gleichen Form. Ich kriege den Zorn. Mein Anwalt sagt, ich sei selbst schuld, ich hätte den Zugriff auf das Gemeinschaftskonto ja unterbinden können. Und denkt dabei wohl: „Dieser Idiot!“ Wo er recht hat, hat er recht. So meine heutige Selbsterkenntnis.
Da stellt sich mir die Frage, warum ich das mitgemacht habe. Es muss triftige Gründe dafür gegeben haben. Bei der Durchsicht der Bankbelege treffe ich auf fast vergessene Life-Events. Die waren teilweise schwerwiegend, wie bedrohliche Erkrankungen von nahen Familienmitgliedern, der Verlust des Familienunternehmens, Karriereknick, Mobbing am Arbeitsplatz, dazu noch die dauerhafte Beziehungskrise. Das war wohl in der Summe zu viel für mich und hat mich daran gehindert, privat klar Schiff zu machen.
Ich bitte den Anwalt darum, den Sachverhalt wenigstens auf die Geltendmachung von Unterhaltsverwirkung zu prüfen. Aber dazu muss ich ihn regelrecht drängen. Es käme mir dabei auf eine mehr symbolische Genugtuung an. Wenigstens die Dinge einmal öffentlich ansprechen. Ich steigere mich leider emotional etwas in die Sache hinein. Mir ist eigentlich schon klar: Wat fott es, es fott! Pech gehabt!
Dennoch freundliche Verabschiedung beim Anwalt. Wie betäubt verlasse ich die Kanzlei. Mein Auto steht nur ein paar Schritte davon entfernt. Ein SUV hat sich knapp vor mein Auto gesetzt. Ich muss zurücksetzen, die Piepe spricht verzögert an, und mein Fahrzeug berührt leicht das Fahrzeug dahinter. Ist dabei völlig gerade ausgerichtet. Vier vorbeikommende Kinder springen sofort hin, es sei nichts passiert. Ich sehe auch nichts am fremden Auto, mache Fotos, schreibe eine kurze Nachricht, klemme sie unter den Scheibenwischer.
Von zu Hause aus rufe ich die Polizeistation vor Ort an. Wissing will das Vorgehen nämlich so regeln. Eine junge Frauenstimme ermahnt mich sehr streng, das sei Fahrerflucht, Wegfahren nach einem Parkrempler. Ich solle sofort zurückkommen. Dort erwartet mich neben seinem Motorrad ein dynamischer Polizist mit mürrischem Blick. Erneut erhalte ich Ermahnungen. Er schaut sich den hinteren Plastik-Stoßfänger an. Man sieht deutlich einen oberflächlichen Abdruck der Kennzeichenhalterung.
Das andere Fahrzeug ist leider nicht mehr vor Ort. Der Polizist lokalisiert den Halter, ruft dort an. Keiner meldet sich. Er meint, wir sollten dort hinfahren. Er mit seinem stylischen Motorrad, ich mit Auto per Navi. Gesagt, getan, trotz leichten Regens. Ich komme zuerst an. Dort findet der inzwischen freundliche Polizist das andere Fahrzeug und sogar den Halter.
Wir treffen uns gemeinsam am fremden Fahrzeug: Hallo, guten Tag, das kann ja passieren, dass sich überhaupt jemand meldet! So der Halter. Ich sage: Entschuldigung, sorry. Der vielleicht Geschädigte: Ach, es ist ja gar nichts zu sehen. Der Polizist: Na dann ist ja alles gut. Noch etwas Smalltalk hin und her. Wir wünschen uns noch ein schönes Wochenende. Alle gehen oder fahren ihrer Wege. Ich muss nicht einmal meine Papiere zeigen. Erstaunlich!
Das ist nicht mein Tag, soviel muss ich sagen! Am Abend führe ich noch ein langes Telefonat mit meinem Bruder. Trotz seiner schweren Erkrankung reden wir eine Stunde lang fast nur über Politik, Medien, Musik und Technik. Natürlich auch über seine Familie. Er ist dankbar über den Beistand, den er durch sie erfährt. Zu diesem Thema schweige ich lieber. Was mich selbst betrifft, habe ich ein eher mulmiges Gefühl.
Das war sie wohl, meine Einstimmung auf den Muttertag. Dieser beinhaltet ja die Idealisierung der Opferrolle von Frauen, genauer gesagt, von Müttern. Mütter können anscheinend machen, was sie wollen. Sie bleiben schließlich Mütter. Ich, nur ein Vater, erfahre zunächst bei einem trivialen Vergehen keine Gnade. Bis sich dann die Sache in Luft auflöst. Bin wohl einfach nicht der Typ eines Schwerverbrechers. Zum Glück.