Nicht nur eine Meldung aus dem Sommerloch
Vorgestern schrieben alle großen Zeitungen über das Alpha-Gal-Syndrom, die Zeit, der Spiegel, die FAZ, die Süddeutsche u. v. a. Dabei ist das Krankheitsbild schon mehr als 10 Jahre bekannt. Hier ist der Link zu Alpha-Gal-Syndrom bei Wikipedia. Den Anstoß für den aktuellen Hype haben eine Pressemitteilung des CDC vom 27.7.2023 und eine Veröffentlichung mit der Erstautorin Julie Thompson im MMWR des CDC gegeben. Bei mehr als 450.000 US-Amerikanern wird die Krankheit vermutet. Alpha-Gal-Syndrom – Allergie gegen rotes Fleisch und mehr. So lauten vielfach die Überschriften.
Was ist dieses Alpha-Gal eigentlich? Recht kurz und knapp, also ohne Geschwurbel, ist es hier zu lesen: Ein Oligosachharid, Galactose-α-1,3-galactose: 1 % der der menschlichen IgG-Antikörper seien gegen Alpha-Gal gerichtet. Eine IgE-spezifische Reaktion dagegen sei mit einer verzögerten Allergie, angioneurotischem Oedem und Urticaria als Reaktion auf rotes Fleisch verbunden. Es bestünde eine erhebliche Diskrepanz zwischen den entsprechenden Laborbefunden und der Klinik. Die Allergie könnte durch einen Zeckenbiss verursacht sein.
Diese Definition ist insgesamt sehr schön konjunktivisch, ganz im Sinne der evidenzbasierten Medizin. Es sei noch viel Forschungsarbeit erforderlich. Wenn schon nicht die Koch’schen Postulate wie bei Infektionskrankheiten erfüllt sind, dann könnte e. E. wenigstens die Pathogenese klar sein. Ist sie aber nicht. Nur Landkarten der Verteilung von Zecken zu matchen, ist interessant, aber im Sinne der Kausalität nicht ausreichend. Sonst ist es wie mit dem Zusammenhang Störche – Geburtenrate.
Die MMWR-Publikation verwendet Daten nur eines Testherstellers, Eurofins Viracor. Dennoch wird kein Interessenkonflikt der Autoren angegeben. Das wirkt nicht glaubwürdig. Aber es gibt weitere fundierte Publikationen zu diesem Thema. „The relevance of tick bites…“ aus dem Journal of Allergy and Immunology von 2011 ist ziemlich umfassend. In deutsch habe ich „Alpha-Gal-Syndrom“ in „Der Hautarzt“ 2022 gefunden, auch ziemlich umfassend, mit einigen Grafiken.
Selbstredend haben sich in den Diskussionsforen der Zeitungen wilde Threads entwickelt, siehe bei der Zeit weiter unterhalb des kurzen Textes. Auf Mastodon.social ist die Aufregung zu #alphagal minimal. Es bleibt hier noch viel Raum für Verschwörungstheorien.
Die Symptome des Alpha-Gal-Syndromes mit verzögerter Allergie, angioneurotischem Oedem und Urticaria sind sicher beeinträchtigend, aber auch außerordentlich vieldeutig. Bei den vielen Meldungen in den USA sind allerdings bisher keine Mitteilungen von Todesfällen. Mich verwundert das schon.
So können wir über den Grund der aktuellen Meldungen nur spekulieren. Stehen wirtschaftliche Interessen der Testhersteller im Raum? Die AWMF-Leitlinie zu igE-vermittelten Nahrungsmittelallergien von 2022 bietet nicht viele Informationen zu Alpha-Gal, wobei die Schreibweise leider inkonsistent benutzt wird. Somit kann der Verdacht nicht völlig ausgeräumt werden, dass es sich doch nur um eine Meldung aus dem medialen Sommerloch handelt: Alpha-Gal-Syndrom – Allergie gegen rotes Fleisch! Ich sollte endlich auch mal über die Nicht-Zoeliakie-Glutenintoleranz schreiben…