Das Thema ITER schiebe ich eine ganze Weile schon vor mir her. Aber heute muss es mal sein. Seit 2007 wird in Cadarache an der Durance/Südfrankreich am Fusionsreaktor ITER (Akronym: International Thermonuclear Experimental Reactor, Iter lat. Bedeutung: Weg, Marsch, Reise, Fortgang, Methode) gebaut. Dabei entsteht trotz riesiger Dimensionen und gigantischer Kosten von bisher über 20 Milliarden Euro nur ein Experimentalsystem. Dauerbetrieb, wie er für die kommerzielle Energiegewinnung erforderlich wäre, ermöglicht das Konzept erst gar nicht, jeweils 10 Minuten Betrieb ist möglich. Ist ITER somit ein Hoffnungsträger der Energiewende? Wird die Kernfusion unbegrenzte Energiemengen als die Technologie der Zukunft liefern können?
Worum geht es bei der Kernfusion eigentlich? Beim Einsatz von Deuterium (schwerer Wasserstoff) und Tritium (superschwerer Wasserstoff, radioaktiver ß-Strahler) im Gramm-Bereich entstehen Helium (Fusionsasche) und hochenergetische Neutronen. Das klingt noch ziemlich einfach. Wenn man bedenkt, dass dafür höchste Temperaturen von 150 Millionen Grad erforderlich sind, um einen ringförmigen Plasmafluss und das extrem hohe energetische Level für die Kernfusion zu erzeugen, dann wird schnell klar, dass das nicht trivial ist.
Auch muss der Plasmafluss von superstarken Magnetfeldern geleitet erfolgen, um die empfindlichen Innenwände nicht zu beschädigen. ITER benutzt den extrem heißen Plasmaring als Sekundärspule eines Transformators, nach dem Prinzip des Tokamak. Die Magnete der Anlage bestehen aus einer großen Zahl einzelner Elemente, alle in den supraleitenden Bereich abzukühlen. Die zirkulierenden Ströme liegen im Bereich von z. B. 69 kA. Ihre Beherrschung und Regelung stellen eine große Herausforderung dar. Der ganze Fusionsreaktor wird dabei tiefgekühlt und mit Vakuum versehen. Strukturbestandteile erhalten eine Wasserkühlung.
Die hochenergetischen Neutronen der Fusionsreaktion erzeugen unter anderem thermische Reaktionen in den Wänden des Reaktionsgefäßes. Sie könnten vermutlich die Basis für den späteren Einsatz als Energielieferant für Kraftwerke sein. Diese Neutronen sind aber so energiebeladen, dass sie die Innenverkleidung und die Wände gegenwärtig schädigen, ja sogar zerstören können. Das erfordert spezielle Innenverkleidungen, Blankets genannt. Die Primär-Temperaturen liegen bei dieser Technik auch viel höher als in heutigen Kraftwerken. Neutronenstrahlung ist noch dazu im Betrieb biologisch sehr schädlich. Danach sind die inneren Anteile des Tokamak hoch radioaktiv, wenn auch nicht mit so hohen Halbwertszeiten wie bei Atomkraftwerken. Aber harmlos ist auch hier nichts.
Allein für den Experimentalreaktor ITER hat man bisher zwei 400 kV Netz-Zuleitungen zur Abdeckung des Strombedarfs von bis zu 620 Megawatt geschaffen. Die regelhafte Kühlung der Anlage erfordert 80 % der Basislast von 110 Megawatt.
Selbst die hier stark vereinfachten Ausführungen zeigen, dass ITER – wenn er denn einmal wie geplant in Betrieb geht – bisher nur ein reiner Experimentalreaktor ist. Und das trotz riesiger Dimensionen. Kontinuierliche Energiegewinnung in großem Stile werden erst Nachfolger möglicherweise gestatten. Gilt denn ITER nun als Hoffnungsträger der Energiewende? Ich glaube, dass für die Beantwortung dieser Frage die Zeit noch nicht reif ist. Böse Zungen sprechen sogar von der Fusions-Konstante: Die Inbetriebnahme von Fusionskraftwerken liege immer 30 Jahre in der Zukunft. Warten wir es ab.
Bis dahin ergibt es mehr Sinn, vorhandene Technologien wie Solarenergie, Windenergie, Erdwärme und Wärmekopplung zu nutzen. Sie erfordern noch dazu keine Großanlagen mit den dazugehörenden Risiken.