Die gesamte Medizin ist bekanntermaßen sehr durch Autoritäten geprägt. Eminenz geht dann häufig vor Evidenz. Und letztere interessiert mich ja besonders. Heute schreibe ich über die Dauer einer Antibiotikatherapie aus grundsätzlicher Sicht, das neue Mantra der Antibiotikatherapie „Kürzer ist besser“.
Disclaimer
Bitte beachten Sie, dass hier keinerlei medizinische Beratung erfolgt.
Fragen Sie bitte Ihren behandelnden Arzt,
bevor Sie empfohlene Therapien verändern!
Vorausgegangen war eine Diskussion in der Familie anlässlich einer Pharyngitis bei einem Erwachsenen mit positivem Schnelltest für Streptokokken der Gruppe A (GAS). Themen im Gespräch waren die Diagnosestellung, dann die Therapienotwendigkeit und schließlich um die Therapiedauer beim Strep Throat. Daran könnte ich doch einmal das obige Mantra testen!
Ich habe zunächst die aktuelle AWMF-Leitlinie zur Tonsillo-Pharyngitis in der Kurzfassung bemüht. Eine Pharyngitis durch GAS wird dort für 5 Tage mit Antibiotika behandelt, sofern keine Red Flags (s. Leitlinie) vorliegen. Eine routinemäßige Eradikation soll nicht erfolgen. Diese würde eine Therapiedauer von 10 Tagen und mehr erfordern. Schnelltests für Streptokokken (GAS) sollen nur unterhalb des Alters 15 Jahre erfolgen. Ach so, klinische Kriterien wie Fieber, Husten und Schnupfen sind wichtig. Husten und Schnupfen sprechen für einen viralen Infekt, zumeist durch Rhinoviren. Bei Erwachsenen sollen 80 % der Pharyngitiden durch Viren bedingt sein. Doch lassen wir dieses Thema. Diese Leitlinie wird aktuell bis Ende 2024 überarbeitet.
Historische Argumente für eine lange Therapiedauer waren der mögliche Verbleib der Erreger, Begünstigung von Rezidiven, der Streuung und die mögliche Begünstigung bakterieller Resistenzen durch zu kurze Therapie. Dahinter stand die Vorstellung einer „Therapia sterilisans magna“ nach Paul Ehrlich, also einer vollständigen Beseitigung von Krankheitserregern durch das Antibiotikum.
In der Medizingeschichte gab es deswegen sogar die Idee, mit neuen Antibiotika schließlich eine vollständige Ausrottung von Bakterien bewirken zu können. Die Vorstellung wirkt auf uns heute befremdlich. Aber in der kurzen Geschichte des Helicobacter pylori tauchte sie mit dem Begriff „Eradikation“ wieder auf. Bei der Streptokokken A Pharyngitis konnte ich Anklänge an dieses Denken wiederentdecken. Allerdings werden wir Bakterien auf Körperoberflächen niemals ausrotten können, wie ich meine.
Mich hat es gereizt, unter „shorter therapy antibiotics“ in PubMed zu suchen. Hier fand ich in einer Publikation über Cholangitis eine Literaturstelle in JAMA von 2016 mit dem Autor Brad Spellberg zu dem Titel dieses Blogposts. Das ist ein eindrucksvoll geschriebener Artikel, ein Kommentar zu nachfolgender Studie, mit Bezugnahme historische Zeitintervalle von Kaiser Konstantin. Die magische Zahl 7 (Tage) tauchte hier schon auf.
Am Beispiel einer Studie zur Lungenentzündung (community acquired) wurde ebenfalls veröffentlicht in JAMA 2016 eindrucksvoll belegt, dass eine Verkürzung der Antibiotikatherapie auf im Mittel 5 Tage im Vergleich zu dem Standard von 10 Tagen nicht unterlegen war.
Brad Spellberg bzw. Mitarbeiter verfolgen als Wissenschaftler das obige Mantra bis heute. Hier ist eine seiner letzten Veröffentlichungen von 2023. Darin findet man die beeindruckende Tabelle der Krankheitsentitäten, für die „Kürzer ist besser“ erfolgreich durch randomisierte Studien etabliert werden konnte. Da sind auch schwere, lebensbedrohliche Krankheitsbilder dabei.
Achtung, es fehlt hier in der Tat der Strep Throat, also die Pharyngitis durch Streptokokken der Gruppe A. Soweit ich das beurteilen kann, wurden in Studien zu dieser Erkrankung teilweise unterschiedliche Antibiotika verglichen. In den deutschen Leitlinien zur Pharyngitis ist „Kürzer ist besser“ allerdings angekommen.
Die Vermutung, dass die Verkürzung der Therapiedauer vermehrt zu Resistenzen führe, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, jeder unnötige Tag einer Antibiose begünstigt weitere Resistenzen, gar die Aufnahme des MDR-Plasmides anderer Bakterienspezies.
Zusammenfassung und Ausblicke
„Kürzer ist besser“ als neues Mantra der Antibiotikatherapie scheint sich bis auf wenige Ausnahmen durchzusetzen. Dieses Mantra gehört schon seit Jahren zu den Inhalten der Antibiotic Stewardship Programs. Den wissenschaftlichen Artikel habe ich zur Begriffsklärung willkürlich ausgewählt. Es geht hier um den verantwortlichen und rationalen Einsatz von Antibiotika und die Schulung von bestimmten Mitarbeitern als Multiplikatoren.
Schon seit vielen Jahren ist die Steuerung von Antibiosen mit dem CRP-Wert üblich. Und das nicht nur auf Intensivstationen.
Auch Procalcitonin kann hierfür benutzt werden. Darüber hinaus weist ein Procalcitoninwert > 0,5 ng/ml recht eindeutig auf eine bakterielle Ursache eines Infektes hin. Nach meiner Kenntnis wird diese Laboruntersuchung bei entsprechendem Einsatz von den Kassen direkt vergütet.
CRP und Procalcitonin dienen letztlich der Objektivierung des Antibiotikaeinsatzes. Dadurch ist es möglich, die Dauer von Therapien zeitlich zu begrenzen, ohne dass für Patienten ein Risiko besteht. Auch das Nichtansprechen auf eine Antibiose wird objektivierbar.
Aber ein weiteres Mantra steht längst in den Startlöchern: „Oral is the new IV“. Mal ehrlich, so neu ist dieses Mantra auch wieder nicht. Chefarzt Dr. Zack hatte uns jungen Ärzten das schon vor mehr als 35 Jahren mit deftigen Worten eingebläut.