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Statine in der Primärprävention sind kein Allheilmittel

Etwa 40 Millionen Einwohner in den USA sollen Statine schlucken! Was ist das für ein großer Markt! Neulich fragt mich ein Bekannter mittleren Alters, ob er die nun auch schlucken solle. Er habe ein erhöhtes Cholesterin, sage seine Hausärztin. Und seit wann ich das Zeug schlucken würde. Für wen sind Statine in der Primärprävention überhaupt sinnvoll, sind sie gar ein Allheilmittel, so wie für Vitamin D postuliert? Wo liegen die Grenzen für das Alter nach unten und oben? Soll man bereits Kinder damit behandeln? Denn wie wir wissen, findet man weiche Lipidplaques in den Gefäßwänden bereits im Kindesalter. Soll man Senioren in hohem Alter noch damit belasten? Man merkt bereits, dass es bei diesem Thema vermutlich viel mehr Fragen als Antworten geben muss.

Ich habe ihm gesagt, dass ich nach einem weiteren Gefäßereignis in der nahen Familie vor 10 Jahren meine Bedenken gegen die Medikamenteneinnahme weggeräumt habe. Seitdem schlucke ich brav 20 mg Atorvastatin und hoffe, dass es wirkt. Irgendwann habe ich beschlossen, dass meine gelegentlichen Muskelbeschwerden nicht mit dem Statin zusammenhängen. Die kommen und gehen, ob mit oder ohne Statin. Meine Leberwerte sind super, und Diabetes habe ich auch nicht. Augen zu und durch.

Weiterer Fall: Neulich an Allerheiligen sitzen wir bequem zusammen mit meiner Schwester und reden freundlich über Gott und die Welt. Da fragt sie mich doch auf einmal, ob es das gäbe: „Gesund Sterben“. Gibt es ein denn zwangsläufiges Sterben im Alter? Ist zum Beispiel mit 120 Jahren einfach die Batterie leer? Mir hat es danach erstmal die Sprache verschlagen. Mir fiel nicht sofort ein kluger Spruch ein. Nur der von Prof. Dr. Heinz Menge, dass der Darm nicht altern würde. Aber stimmt das überhaupt? Sind Gefäßkrankheiten denn vermeidbar? Gibt es gar ewiges Leben durch Pillen?

Noch ein Fall: Wir sitzen gemütlich bei Kaffe und Kuchen, und eine gute Bekannte berichtet, dass ihr Cholesterinwert trotz dreimonatiger strenger Diät unverändert erhöht geblieben sei. Sie schlucke jetzt einfach ein Statin, Punkt. Ihr Cholesterinwert sei seitdem super und die Sache für sie damit erledigt. Völlig pragmatisch. Das ist auch eine Lösung bei schlechtem Gewissen wegen der eigenen Gesundheit.

Bei den drei Gesprächen habe ich die Sache mit ges. Chol., HDL- und LDL-Chol. und dem Quotienten einfach unterschlagen. In der Primärprävention sind die Werte ohnehin nicht so gut etabliert.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat derzeit ein Gesundes-Herz-Gesetz initiiert und damit – wie könnte es anders sein – besonders die ärztlichen Fachverbände gegen sich aufgebracht. Screening schon im Kindesalter und im mittleren Lebensalter sollen dazugehören. Lauterbach bezieht sich auf die aktuelle Studie NHS Health Check aus UK. Die Verbände kritisieren, dass es dazu kaum Evidenz gäbe. Womit sie teilweise recht haben könnten, zum Beipiel mit dem Screening im Kindesalter. Aber damit nehmen es die Verbände sonst auch nicht so genau, mit der Evidenz. Den Gedanken, dass Gefäßerkrankungen besser verhindert als behandelt werden sollten, finde ich allerdings richtig. Warten wir es ab. Vielleicht werde ich noch mal genauer nachlesen müssen.

Wie lautet eigentlich die globale NNT für die Primärprävention mit Statinen, so habe ich die KI-Suchmaschine Phind befragt. Und tatsächlich hat sie mir eine Antwort gegeben, erstaunlich bei der komplexen Materie. Um ein größeres Gefäßereignis zu verhindern, müssten 100 Personen 2,5 Jahre täglich das Statin schlucken. Nach meiner Rechnung lautet die NNT also 250, was ein eigentlich indiskutabel schlechter Wert wäre. Wir befänden uns damit beinahe auf der gleichen Ebene mit der Diskussion um Vitamin D oder auch um die vegetarische/vegane Erährung. Das wäre dann mehr Lifestyle als echte Prävention.

Es ist klar, dass die KI-Suchmaschine stark vereinfacht hat, und dass man die Sache mit der Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen als Folge von Fettstoffwechselstörungen viel detaillierter und fundierter darstellen kann. Wer es genauer wissen möchte, kann auch gerne die App ASCVD Plus Calculator aus dem PlayStore installieren oder den ASCVD Plus Calculator im Web aufrufen, und dort seine Werte eintippen. Dann wird es konkreter.

Obwohl hier der gesamte Sachverstand des American College of Cardiology eingeflossen ist, bleiben viele Fragen unbeantwortet. In welchem Alter begonnen werden soll, und wie lange Statine gegeben werden dürfen, welches und wie dosiert, die Antworten bleiben doch recht vage. Erstaunlich, dass die Familienanamnese nicht abgefragt wird. Wo doch die „Rasse“ mit eingeht. Eine der (trivialen) Hauptaussagen des Calculators ist für mich, dass mit dem Alter das Risiko für diese Gefäßereignisse erheblich steigt. Meines liegt bei etwa 16 – 19 % für die nächsten 10 Jahre. Trotz dieser Pille, die das Risiko nur um 3 % senkt. Die NNT liegt in meiner Alterliga über 300, schon wieder. Statine in der Primärprävention sind also kein Allheilmittel.

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