Ein dunkler Tag ist heute, heute vor einem Jahr starb mein Bruder. Deswegen habe ich die Nacht nicht besonders gut geschlafen. Mit der Gartenarbeit und dem Haushalt bin ich nun so weit fertig. Ich sitze noch alleine am Tisch, sinniere vor mich hin, trinke schon wieder Kaffee, den dritten Humpen des Tages. Ach, ich habe schon lange nicht mehr auf meinen Puls geachtet, ich meine die vielen Extraschläge, bis zu einem Drittel aller Schläge. Was tun bei paroxysmalem Vorhofflimmern, es könnte ja sein? Oder bei ventrikulären Tachykardien? Schon wieder: Der Arzt als sein eigener Patient! Oh je!
Das Phänomen ventrikuläre Extraschläge beobachte ich bei mir bereits seit mehr als 10 Jahren. Gemerkt habe ich es zunächst nach der ersten schweren Erkrankung meines Bruders. Da es nahezu konstant ist, kann sich nicht um einen situativen Effekt gehandelt haben. Mit verschiedenen Medikamenten, Kaffeeverzicht, Alkoholabstinenz und Magnesium habe ich versucht, darauf Einfluss zu nehmen, doch leider ohne wirklichen Effekt.
Eine Besonderheit ist, dass die Sache mit erhöhter körperlicher Belastung weggeht. Mein Kardiologe schüttelt deswegen bei der Ergometrie immer den Kopf. Weil das bei myokardialen oder koronaren Erkrankungen so nicht üblich ist. Meine körperliche Belastbarkeit würde ich als normal bezeichnen. Symptome bei Belastung wie Luftnot, Schwindel oder Kollaps habe ich nie erlebt. Spitzenbelastungen vermeide ich vorsichtshalber. Tanzen sind für mich keine keine Überlastung.
Die weitere kardiale Abklärung war bisher nahezu unauffällig geblieben, also CT-Coro 2016 mit Kalzium-Score 0, Stress-Echo, kein Vitien, allerdings diastolische Relaxationsstörung des linken Ventrikels, grenzwertige Hypertonie. Geringe Manifestationen der Arteriosklerose. Keine Dyspnoe, keine Ödeme. LDL-Cholesterin unter Statin bei 60 mg %, TSH basal 2 mU/l. BMI normal.
Wie ich da so sitze, fühle ich wie ein Herzneurotiker nach dem Puls, und der ist unregelmäßig, dabei aber schneller als sonst, bis 100/min. Ich greife deswegen zum Fingeroxymeter, das den unregelmäßigen, vergleichsweise hohen Puls bestätigt. Mist, sage ich mir, das wird doch wohl keine Absoluta bei Vorhofflimmern sein!
Ich bin gut ausgestattet, habe mit vor Jahren ein 3-Kanal-Langzeit-EKG-Gerät gekauft, um der Sache mehr Objektivität zu verleihen. Das Gerät der Firma Contec gab es vor Jahren bei Ebay für etwa 90 €. Ein unfassbar niedriger Preis, gemessen an dem der hiesigen Geräte. Schnell die Batterien gecheckt, Elektroden aufgeklebt und 5 Kabel angeschlossen, Starten der Aufzeichnung.
Nun belaste ich mich einige Male bewusst, um das Frequenzverhalten zu prüfen. Nach 3 Stunden mache ich eine Zwischenauswertung des Langzeit-EKGs. Am Anfang finde ich unzweifelhaft eine Absoluta bei Vorhofflimmern, Kammerfrequenz um 90 pro Minute, einige ventrikuläre Extrasystolen. In der Mitte der Aufzeichnung und nach schnellem Bergaufgehen ist in der Ruhephase allerdings wieder Sinusrhythmus nachweisbar. Der genaue Zeitpunkt der Normalisierung ist wegen Bewegungs-Artefakten nicht sichtbar. In der Ruhephase finden sich wieder viele Extrasystolen aus der Kammer, rein formal bis Lown Klasse 4a. So wie auch sonst üblich.
Ich starte den Rekorder für ein 24-Stunden-EKG. Es muss wieder mal sein. Denn es geht jetzt um mich und meine Gesundheit. Nicht immer nur um die der Anderen. Immerhin handelt es sich um das erste, bei mir dokumentierte, paroxysmale Vorhofflimmern. Allerdings würde ich mich dabei als asymptomatisch bezeichnen. Die Dokumentation des Ereignisses war reiner Zufall bzw. meiner medizinischen Geräteausrüstung geschuldet.
Wie geht man damit um? Direkt ein Rezept schreiben und Eliquis 5 kaufen, die 200-er Schachtel für 258 €? Und gleich die erste schlucken? Die bisher üblichen Risikoscores für kardioembolische Schlaganfälle als Folge von Vorhofflimmern differenzieren allerdings nicht im Hinblick auf individuelle Aspekte, wie erstmalige Dokumentation von VHFli, ob mit oder ohne Symptomen, Ventrikelfunktion, Vorhofgröße oder sonstige sekundäre Formen. Üblicherweise gehören Alter, Hypertonie, Herzinsuffizienz, Arteriosklerose, Diabetes mellitus, früherer Schlaganfall u. a. zum CHA2DS2-VASc-Score. Der Score ist aber auch nicht mehr taufrisch, so von 2014 ungefähr.
Durch implantierbare Rekorder, Devices wie Schrittmacher und Kardioverter sowie die weit verbreiteten, modernen Smart Watches weiß man heute eigentlich viel mehr über paroxysmales Vorhofflimmern. Es scheint häufiger zu sein, als zunächst gedacht. Ich bin dennoch besorgt und ratlos. Umgehend mache ich einen Termin beim Kardiologen, mit dem Vermerk „zeitnah“. Mal sehen, was er von der neuen ESC-Leitlinie zum Vorhofflimmern hält, hier insbesondere die Studien NOAH-AFNET und ARTESIA von 2024. Dabei geht es explizit um „device-detected AF“, also ohne klinische Symptome. Den geplanten Urlaub sagen wir nicht ab, denn ich bleibe vorsichtig optimistisch.
Ich habe in den letzten Blog-Beiträgen mehrfach über das Altern geschrieben. Jetzt sieht es so aus, dass es mich eine typische Alterskrankheit erwischt haben könnte. Was tun bei paroxysmalem Vorhofflimmern? Und das zusätzlich zu der höhergradigen ventrikulären Extrasystolie, deren Ursache unbekannt und deren Harmlosigkeit unbewiesen ist. Einzig meine normale Fitness, fehlende subjektive Zeichen einer Herzerkrankung und der schon 11-jährige Verlauf sprechen gegen eine schwere Erkrankung. Hoffentlich stimmt das!
Gesundheit ist eine Illusion, ich wiederhole mich. Seit dem letzten Post sind zwei Wochen vergangen. Mir hatte es etwas die Sprache verschlagen.