Es wäre schön, ein EKG einfach ableiten und direkt analysieren zu können. Die frühe Erkennung von Vorhofflimmern als Marker für drohende Schlaganfälle ist schließlich ein großes Thema. Sogenannte Smartwatches scheinen das zu bieten. Aber wie machen die Geräte das? Kann man denn mit einer Smartwatch ein EKG ableiten? Und damit ein Langzeit-EKG oder gar implantierbare Devices ersetzen? Do-it-yourself bei der medizinischen Diagnostik?
Selbst mein Kardiologe hat von den neuen Geräten gesprochen. Nach einem eigenen Event habe ich mich nun mit der Problematik beschäftigt. Dieses vorweg: Ein kontinuierliches EKG-Monitoring bietet keines dieser Laien-tauglichen Geräte. Natürliche gibt es so etwas im medizinischen Bereich, z. B. als kontinuierliches, extern zu tragendes und mehrkanaliges Langzeit-EKG. Die Smartwatches am Handgelenk messen Rhythmusstörungen allerdings per Photoplethysmographie (PPG), also über Pulswellenmessung, ähnlich wie die Pulsoxymetrie. Das ist aber keine EKG-Ableitung.
Künstliche Intelligenz und Algorithmen sollen hier Vorhofflimmern zuverlässig entdecken können. Inzwischen sind mehr als 8 Smartwatches für diesen Zweck von der FDA geprüft und zugelassen, allerdings nicht als medizinische Geräte. Das Vorhofflimmern selbst muss allerdings immer noch per Mehrkanal-EKG und vom Experten verifiziert werden. Und, ich finde das noch interessanter, es fehlt eine große Studie, die beweist, dass diese Screening-Strategie insgesamt für die Nutzer einen medizinischen Vorteil bietet. Die Mehrzahl der positiven Screening-Ergebnisse werden nämlich bei asymptomatischen Personen gefunden. Mich erinnert das an die Situation beim PSA-Screening, oder bei der Vitamin-D-Substitution Gesunder, vielleicht sogar beim unkritischen Screening auf Mamma-Karzinom.
Ich habe mir, um Erfahrung zu sammeln, für 30 Euro eine kleine Smartwatch XORO SMW10 mit der Android App XORO Fit zugelegt. Diese bietet natürlich keine zertifizierte AF-Erkennung. Ich als Arzt und Internist halte das bei mir selbst auch nicht für zielführend, da ich viele ventrikuläre Extrasystolen habe, die die Erkennung stören würden. Mit ist keine Smartwatch bekannt, die diese VES zuverlässig differenzieren könnte. Die SMW10 bietet allerdings die Möglichkeit, einkanalige EKGs über 30 Sekunden abzuleiten und sogar zu verschicken, über Mail beispielsweise. Zusätzlich kann die kleine Uhr das EKG einkanalig über zwei normale Klebeelektroden ableiten. Wie ein echtes Langzeit-EKG also. Das war nach meinen bisherigen Tests allerdings nicht sehr praktikabel. Denn wie soll man das auswerten?
Die kleine Smartwatch XORO SMW10 ist technologisch mindestens 4 Jahre alt. Erstaunlicherweise bietet die App ein umfassendes Auswerteprogramm für diverse Parameter an. Schrittzähler, Kalorienverbrauch, Distanz, Herzfrequenz, Herfrequenzvariabilität, EKG, Oxymetrie, Apnoe-Screening, Schlafmonitoring und sogar die Blutdruckmessung per PPG. Als Arzt würde ich sagen, dass derart umfassende Signalauswertung einem professionellen Monitorsystem gut anstehen würde.
Aus praktischer Erfahrung weiß ich, dass sich schon bei der Blutdruckmessung die Spreu vom Weizen trennt. Bei der Messung am Handgelenk ist die Höhenrelation zum rechten Vorhof unbedingt einzuhalten. Das geschieht aber nicht. Ein empfohlene Kalibration wird nur laienhaft beschrieben, ohne Ruhephase. Und sie ist nach meiner Erfahrung unwirksam, denn die gemessenen Werte entsprechen nicht annähernd der physiologischen Bandbreite bei Belastung. Was wird da eigentlich gemessen?
Beim Einkanal-EKG ist mir aufgefallen, dass die Form der P-Wellen variabel ist. Das könnte auf ein Abstimmungsproblem in der Signalaufbereitung hinweisen. Vielleicht erfolgt zu viel Artefaktunterdrückung.
Was mich generell wundert, ist, dass die Parametrierung der Messvorgänge nicht möglich ist. Man kann nahezu nichts einstellen, also individuelle oder technische Aspekte bei den angezeigten Parametern.
Die Übersetzungen des Handbuches und in der App sind unfertig. Hoffentlich stimmen wenigstens der Schrittzähler und die Pulsoxymetrie. Vielleicht taugt die kleine Smartwatch dann wenigstens im Sinne einer Machbarkeitsstudie. Dann würde sie zeigen, was in Zukunft eventuell möglich sein könnte. Ich weiß nicht, ob 20-fach teurere Produkte wie die Apple Smartwatch oder Edelprodukte von Samsung, Google oder Xiaomi wirklich deutlich besser sind. PPG-Blutdruckmessung ohne Kalibration ist für mich immer noch Zukunftsmusik.
Mit einer entsprechenden Smartwatch kann man heute bequem ein EKG ableiten. Aber wer wertet es aus? Als medizinische Produkte sind sie noch nicht tauglich oder gar zugelassen. Denn dann müssten die eingesetzten Algorithmen offengelegt werden, und die Devices in Studien auf ihren klinischen Nutzen evaluiert sein. Als Sportuhr, Fitnesstracker und Gadget der Informationsgeneration mögen die heutigen Smartwatches wohl taugen. Damit wären sie allerdings Lifestyle-Produkte. Es macht eben einen Unterschied, ob man nur schöne Zahlen und Grafiken produziert, oder ob der Träger davon einen nachweisbaren medizinischen Benefit hat.