Realer Irrsinn im Westerwald?
Nun hat auch NDR Extra3 über die Geschichte berichtet. Man denkt, dass Kenntnisse der Evolution und der Erdgeschichte Allgemeingut des Wissens seien. Das Universum dürfte ja ungefähr 14 Milliarden Jahre alt sein, das wissen wir, die Erde etwa 4,38 Milliarden Jahre. Die Entwicklungsgeschichte des Menschen ist dazu im Vergleich ein ganz kurzer Zeitabschnitt.
Warum nicht mal etwas für die Allgemeinbildung tun? So jedenfalls hatte es sich die Ortsbürgermeisterin von Hellenhahn-Schellenberg, einer kleinen Gemeinde im Westerwald, gedacht. Sie wollte einen Weg mit Schildern über die Evolution des Menschen errichten lassen. Doch da hatte sie nicht an ihre lieben Mitbürger gedacht. Das Ganze führte zu einer Welle der Empörung, ja sogar die Religionsfreiheit sei gefährdet.
Inzwischen hat es sogar einen Bürgerentscheid darüber gegeben, der negativ ausgegangen ist. Mann-oh-Mann.
Doch schauen Sie selbst, der Podcast dauert ja nur 2 Minuten: Link zu Extra3
Das wäre alles nicht so schlimm. Aber der Dissens weist auf eine weltanschauliche Auseinandersetzung hin. Letztlich haben sich „gläubige“ Katholiken stramm gegen die Giordano-Bruno-Stiftung in Position gebracht. Fundamentalismus trifft auf Aufklärung! Aber wie. Hier sehen Katholiken die Religionsfreiheit bedroht, wenn die Erde nicht nach dem Wort der Bibel vor 6000 Jahren erschaffen wurde. Und alle Lebewesen innerhalb von 6 Tagen.
Ey Leute, das führt aber zu weit. Die ganze Bibel ist doch eine Sammlung von Allegorien und lange tradierten Geschichten und Erzählungen aus dem nahen Osten. Ich dachte, das sei doch klar. Nun in der heutigen Zeit so etwas! Kreationismus nennt man das. Ich dachte sei eine Spezialität der Evangelikalen. Also von 25 % der Bevölkerung der USA. Intelligent design ist die pseudowissenschaftlich verbrämte Variante davon, gesteuert vom „Centre of Science and Culture“, einer Einrichtung des christlich-konservativen Discovery Institute. Per Beschluss eines Bundesgerichtes in den USA von 2005 ist dieser Begriff keine wissenschaftliche Entität, sondern religiöser Natur. Somit steht er nicht gleichberechtigt mit der Evolutionstheorie.
Ich habe mich auch in meinem Blog ja ganz schön viel mit meinen pietistischen Vorfahren beschäftigt und die durchaus gewürdigt. Langsam reicht es mir, gerade wenn ich so etwas lesen muss. Ich komme mir wie Woodie Allen:
To you I’m an atheist, to God, I’m the Loyal Opposition.
Nun ist es aber mal genug mit der Loyalität. Denn wenn nicht mal die wissenschaftliche Forschung zählt, sondern die religiöse Meinung, dann ist Schluss mit lustig. Das passt zwar gut in die Zeit von DT, in der Meinung, Lügen und Wissenschaft auf gleiches Niveau gestellt werden können. Alternative Fakten halt. Alles ist beliebig! Oder etwa doch nicht?
Die humanistische, ja antireligiöse Giordano-Bruno-Stiftung hat sich der Erläuterung der Evolution, der Aufklärung insgesamt verschrieben. Sie beschäftigt sich zum Beispiel mit dem materiellen Reichtum der Kirchen, der Verlogenheit in der Verquickung von Staat und Kirche, der Okkupation der Diskussion über Abtreibung und Sterbehilfe durch die Kirchen. Die Mitglieder der Stiftung sind namhafte Leute, die durchaus fähig zur Diskussion sind. Dass sich religiöse Fundamentalisten an der Stiftung stören, das ist zu erwarten. Hier der Link zur Homepage der Stiftung. Es lohnt sich, dort mal nachzuschauen. Da gibt es einen 50-seitigen Jahresbericht, er ist durchaus lesenswert.
Interessant ist auch die Bezugnahme auf Giordano Bruno, einen rastlosen katholischen Mönch, Priester, Dichter, Philosoph und Astronom des 16. Jahrhunderts. Er war ein Hochgebildeter und -begabter, der Pantheismus predigte, eine eigene Sicht eines unendlichen Universums entwickelte, die die göttliche Schöpfung, das Jenseits und das Jüngste Gericht ausschloss. Er legte sich mit allen, aber auch wirklich allen an. Deswegen wurde er sogar bei den Calvinisten und den Lutheranern herausgeworfen. Die Inquisition befand ihn der Ketzerei für schuldig. Schließlich wurde er um 1600 auf dem Campo de‘ Fiori in Rom hingerichtet, eine Statue dort erinnert an ihn. Papst Johannes Paul II hat das zwar im Jahr 2000 als Fehler erkannt, aber wirklich rehabilitiert wurde er nicht von der Kirche.
Richard Dawkins („The Selfish Gene“, „The God Delusion“) ist einer der Preisträger der Giordano-Bruno-Stiftung. Insofern ist die Position der Stiftung klar.
Jetzt noch mal konkret: Warum sollten Kirchen moralisch letzte Instanz in kritischen Fragen sein dürfen? Was bitte in ihrer Geschichte gibt ihnen das Recht dazu? Warum sammelt der Staat die Kirchensteuer ein? Warum gibt es die „Tendenzbetriebe“, also Sozialbetriebe mit eingeschränkter Gültigkeit des Betriebsverfassungsgesetzes trotz staatlicher Finanzierung? Das Grundgesetz kennt schließlich einen Neutralitätsgrundsatz.
Erdgeschichtlicher Zeitstrahl: Besuchen Sie doch den Zeittunnel in Wülfrath!
Am 28.8.2020 haben wir im Zeittunnel am Schlupkothen in Wülfrath den bildlich dargestellten erdgeschichtlichen Zeitstrahl bewundern können. Die Erde soll vor 4,34 Milliarden Jahren entstanden sein. Wenn man die Zeit bis heute linear aufträgt und auf ein Jahr projiziert, dann sind am Silvestertag um 19 Uhr 12 die Frühmenschen erstmals in Erscheinung getreten. Den modernen Menschen Homo sapiens gibt es erst seit 23 Uhr 33. Ich finde diese Darstellung als Zeitstrahl öffnet uns die Augen dafür, welche – relativ gesehen – minimale Zeit uns Menschen bisher zur Verfügung stand. Und wie alt die gesamte Natur der Erde ist! |
Ein Evolutionsstrahl bei Wikimedia, als Beispiel