Für immer ein Heim für die ganze Familie?
Der Besuch aus Amerika ist angekommen, total pünktlich sogar. Wir haben ein ehemaliges Kinderzimmer passend hergerichtet, sodass sich die jungen Leute wohlfühlen können. Gemeint ist, den Jetlag auszuschlafen. Total freundlich sind sie, hello, how are you und so weiter. Dann gibt es eine Kleinigkeit zu essen gegen den großen Hunger. Dazu einen Schluck Wein. Besuch im Lang Family Castle.
Zweieinhalb Jahre ist der letzte reale Kontakt her. Daran war Coronavirus schuld. Wegen zahlreicher unterschiedlicher Einschränkungen war der Besuch über Kontinente hinweg nahezu utopisch. Oder er hatte ein zu hohes Potenzial der Unsicherheit. Selbstverständlich gab es in dieser Zeit eine große Zahl von Videotelefonaten. So blieb die Gemeinsamkeit erhalten, trotz der großen räumlichen Distanz.
Wir reden zumeist auf Englisch, was für uns gewöhnungsbedürftig ist. Da haben wir nicht soviel Übung. Aber viele Vokabeln finden sich doch ein. Beim Zuhören muss ich mich ordentlich konzentrieren. Ben berichtet über einige für uns schwer nachvollziehbare Gepflogenheiten in den USA. Insbesondere ist für ihn das Sicherheitsgefühl dort viel geringer. Deswegen zieht es die jungen Leute nach Europa. Trotz Krieg in der Ukraine.
Dann kommt noch der andere Sohn zu Besuch vorbei. Interessante Gespräche, gemeinsame Einnahme einer Mahlzeit. Anschließend findet eine umfangreiche Besichtigungstour im Garten statt. Der ist erwartungsgemäß total grün. Es blüht immer noch wie wild. Fast zu jeder Pflanze kann ich einen Kommentar abgeben, also eine kleine Geschichte erzählen. Auch der Garten spiegelt, wenn man so will, 28 Jahre Familiengeschichte wider. Schnell noch einige Selfies gemacht!
Dann entwickelt sich ein Gespräch über die Nutzung des Hauses. Was 1993 als Familiendomizil geplant war, blieb letztlich nur vielleicht 13 Jahre so. Durch externes Studieren der Söhne und Trennung der Eltern wird das Haus seit nun 15 nur noch von mir bzw. uns bewohnt. Da noch ein weiteres Haus vorhanden ist, ist die Wohndichte hier für mich nicht sehr hoch. Eigentlich unvernünftig, zumindest sehr unwirtschaftlich.
Andererseits ist die Wohnqualität hier sehr hoch. Die Ruhe, die lichtdurchfluteten Räume, die Terrasse, ein Garten wie ein Park und die Ausstattung sind in Summe schon sehr großzügig. Das Haus bietet auch eine vergleichsweise hochwertige Umgebung. Viele der Nachbarn sind mir persönlich bekannt. Mit manchen bin ich sogar langjährig befreundet.
Irgendwann verwendet Ben im Gespräch den Begriff „Family Castle“. Das trifft es irgendwie. Eine Art Trutzburg in einer komplizierten Welt. Vorsichtshalber haben beide Söhne, ja sogar meine Ex, manchmal bedeutungsschwere Dinge hiergelassen. Auch wann sie schon lange nicht mehr hier wohnen. Davon gibt es etwa 30 Umzugskartons mit deren Hinterlassenschaften im Haus. Eines der ehemaligen Kinderzimmer hat noch die Ausstattung und den Inhalt wie vor 13 Jahren! Es ist also ein Museum!
Und diese Trutzburg modernisiere ich gerade. Zwei Wärmepumpen-Heizsysteme sind schon installiert. Bald kommt eine Photovoltaik-Anlage hinzu. Diese gestattet sogar einen netzunabhängigen Betrieb. In Summe ermöglichen diese Geräte eine schon recht weitgehende energetische Autarkie. Sie bieten zumindest eine gewisse Illusion davon. Die Abtrennung von vermietbaren Wohnungen ist im Haus leider nicht sinnvoll möglich. Schade.
So bietet dieses Haus, ob gewollt oder nicht, eine Art Fluchtburg der gesamten Familie, auch wenn sie heute zeitgemäß eine Patchwork-Familie ist. Wenn ich doch zur Zeit der Planung einen realistischen Blick in die Zukunft gehabt hätte! Statt den Raumbedarf der Familie in ihrem damaligen Zustand in eine steinerne Idealform zu fassen. The Lang family castle. Das habe ich nun davon.